Finanzpolitische Grundsatzrede zum Haushalt 2022

Unser finanzpolitischer Sprecher Claas Merfort begründet unsere Ablehnung

In den finalen Beratungen über den Haushalt 2022 in der Ratssitzung am 29. März hat unser finanzpolitischer Sprecher Claas Merfort in einer Grundsatzrede begründet, warum wir den Haushalt für dieses Jahr ablehnen.

Wir veröffentlichen seine Rede hier ungekürzt und in voller Länge:
Claas Merfort hat in seiner finanzpolitischen Grundsatzrede erläutert, warum wir den Haushalt 2022 ablehnen.Claas Merfort hat in seiner finanzpolitischen Grundsatzrede erläutert, warum wir den Haushalt 2022 ablehnen.

Sehr geehrter Herr Ratsvorsitzender, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

„Die Leistungsfähigkeit der städtischen Finanzen ist ernsthaft gefährdet!“ So das Urteil der Kommunalaufsicht zum letzten Haushalt der Stadt Braunschweig. Wie kommt die Aufsicht zu diesem Urteil und was wurde daraus gelernt?

Basis dieser Einschätzung ist die mittelfristige Finanzplanung mit ihren kontinuierlich negativen Ergebnissen. Aber auch etliche einzelne Kerndaten des Braunschweiger Haushalts untermauern diese Einschätzung. Auch der von der Verwaltungsspitze vorgelegte Entwurf für das Jahr 2022 zeigt erneut einen ungesunden Haushalt. Exemplarisch möchte ich auf einige Punkte eingehen, die diese Einschätzung untermauern und unsere Kritik an den Haushaltsplanungen der Verwaltungsspitze widerspiegeln:

 
I.              Schauen wir uns als Erstes die Kennzahl aus dem Finanzhaushalt „Saldo aus laufender Verwaltungstätigkeit“ an

Diese Kennzahl zeigt zum einen vereinfacht gesagt an, wie viel Geld im betrachteten Zeitraum vom Konto für Personal, Dienstleistungen, Versorgungszahlungen, Transferzahlungen und Zinsen abgeht. Und zum anderen zeigt sie, wie viel auf das Konto durch Steuern, Abgaben und Gebühren eingezahlt wird. Sie berücksichtigt dabei nicht die Zahlungsströme der Investitionen. Es geht also nicht um sogenannte Zukunftsinvestitionen, sondern um sozusagen täglichen Einnahmen und Ausgaben. Hier erzielt Braunschweig im Mittel klar weiteren einen Verlust. Die hier vorgelegten Werte – in der zur Abstimmung stehenden 2. Ergänzungsvorlage der Haushaltssatzung sind in der Planung für das Jahr 2022 weiterhin Minus 6 Millionen Euro vorgesehen, bei der Präsentation des Haushaltsentwurfes im Oktober des letzten Jahres war sogar ein Minus in Höhe von knapp 30 Millionen Euro eingeplant – zeigen also weiterhin ins Negative. Dieses Negativum kann nur dadurch aufgefangen werden, dass wir es entweder durch Kredite gegenfinanzieren, oder mit den vorhandenen liquiden Mitteln bezahlen. Eins von beidem muss man an dieser Stelle tun.

Generell muss überall der Grundsatz gelten, dass die Einnahmen immer ausreichend sein müssen, um die Ausgaben zu bedienen. Das ist kein Schwäbisches Märchen, sondern schlicht weg Realität für jedes Konto.

Im allgemeinen Haushaltsgrundsatz, zum Beispiel nach Burth, heißt es: Mit einem negativen Saldo wird deutlich, dass die Gemeinde den Handlungsspielraum künftiger Generationen verringert. Braunschweig verringert hier also den Handlungsspielraum für künftige Generationen.

Es fehlt darüber hinaus die Darstellung, wie konkret eine dauerhafte Umkehr ins Positive für diesen Saldo erreicht werden soll. Hierzu bleibt gänzlich unerwähnt, wie dieser Abbaupfad eigentlich stattfindet. Stattdessen wird im konsumtiven Bereich weiter aufgesattelt. Dabei ist gerade diese Position von großer Bedeutung für die Bewertung der finanziellen Gesundheit eines Haushaltes.


II.            Gehen wir auf das Beteiligungsergebnis ein

Ja, Corona hat Vieles durcheinander gewürfelt. Dennoch hatten wir auch schon vor den Verwerfungen durch die COVID-Pandemie unsere Probleme und Herausforderungen mit zahlreichen Gesellschaften. Diese sind nun aktueller denn je. Die Städtischen Beteiligungen und Gesellschaften haben zusammen ein Umsatzvolumen von rund 1,7 Milliarden Euro. Der städtische Haushalt hingegen hat ein Aufwandsvolumen von gut 0,9 Milliarden Euro, grob gerechnet also etwa die Hälfte. Aus diesen Zahlen wird klar, wie wichtig es für die finanzielle Gesundheit der Stadt Braunschweig ist, auch den Fokus auf die städtischen Gesellschaften zu legen. In 2020 liegt das Beteiligungsergebnis bei rund minus 31 Millionen Euro. Im Jahr 2019 lag es noch bei minus 29 Millionen Euro – eine Verschlechterung von rund 6,8%, trotz erheblicher Zuschüsse zum Beispiel bei der Verkehrs-GmbH im Rahmen des Corona-Rettungsschirms und Beihilfen der übergeordneten Ebenen. Wir müssen zwangsläufig den Beitrag der Gesellschaften – insbesondere beim Klinikum – auch im Sinne eines gesunden Haushaltes berücksichtigen. Und wenn das der Haushaltsmehrheit nicht aus Bordmitteln gelingt, braucht es externen Rat, um Verbesserungen im Beteiligungsergebnis zu erreichen. Auf jeden Fall kann dieser externe Rat sicherlich nicht schaden.


III.           Die Verschuldung

Der Gesamt-Schuldenstand im Jahr 2025 wird mit mehr als einer Milliarde Euro geplant (mit Experimentierklausel, Kassenkrediten und PPP). Das ist und bleibt ein trauriger Rekord. Schulden gehören zwar zur Investitionsfinanzierung dazu. Aber die Schuldentragfähigkeit muss ein zentrales Anliegen bleiben. Das beinhaltet auch das Thema des Zinsänderungsrisikos, denn dieses darf nicht außer Acht gelassen werden. Wir alle wissen um die Risiken der anziehenden Zinsen und sind überrascht, dass die mittelfristige Planung auf dem aktuellen Zinsniveau beruht und eben genau diese Zinsänderungsrisiken außer Acht lässt. Wie dramatisch und ungesund diese Braunschweiger Schuldendynamik ist, zeigt die Entwicklung der Pro-Kopf-Verschuldung in Braunschweig: Anfang 2021 lag diese noch bei 916 Euro Schulden je Einwohner, Anfang 2022 ist diese doppelt so hoch und steht bei 1.837 Euro je Einwohner. Damit haben wir bereits in diesem Jahr den Bundesdurchschnitt nach letzter Erhebung in Höhe von 1.742 Euro (September 2021) wieder durchbrochen. All die Anstrengungen der Vergangenheit sind wieder in den Wind geschlagen und die Zeichen stehen erneut auf ungesund.


IV.          Die nicht gegenfinanzierte Ausdehnung im Stellenplan

Wir finden im Haushaltsentwurf mehr als 100 neue Stellen, die ohne Gegenfinanzierung vorgesehen sind. Und dass, obwohl unsere Bevölkerung praktisch nicht wächst. Von 2020 auf 2021 hatten wir sogar einen leichten Rückgang, der auch mit dem Wachstum in 2022 nicht kompensiert werden konnte. Alle zusätzlichen Stellen werden vermutlich eine Mehrbelastung in Höhe von etwa 10 Millionen Euro jährlich auslösen.

Unsere Bevölkerung wächst also nicht im Ansatz zu den Stellenaufwuchsen mit. Und Digitalisierungserfolge werden ganz offenbar nicht im Geringsten eingefahren. Im Grundsatz müssten viele Aufgaben durch Digitalisierung effizienter, schneller und weniger aufwendig laufen. Der Netto-Nullstellen-Plan – also in Summe nur Stellen verlagern, aber keine neuen aufbauen – wurde bisher einmal selbst durch die Verwaltungsspitze, damals noch von Dezernent Ruppert, vorgelegt. Es ist nicht ersichtlich, warum die Verwaltung hiervon abkehrt und die weitere Kritik der Aufsicht, nämlich stetiges Aufwachsen im Stellenplan, nicht ernst nimmt.

Besonders irritierend ist, dass auch in solchen Bereichen zusätzliches Personal aufgebaut wird, wo dies nicht intuitiv ist. Zum Beispiel die anteilige Stellenerweiterung bei der Friedhofssachbearbeitung. Da stellen sich doch folgende Fragen: Sind unsere immer mehr digitalisierten Friedhofsprozesse im Jahr 2022 so komplex geworden, dass dies notwendig wird? Wo bleiben Effizienzeinsparungen, die aufgrund von Digitalisierungen möglich sein müssen?


V.            Aktiver Resteaufbau

Es gibt ein Gesetz über die ordnungsgemäße Haushaltsführung. Aus diesem werden Grundsätze der Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit sowie der Jährlichkeit abgeleitet. Daraus folgt auch, dass ein Haushalt sich immer an den echten Vorgängen ausrichten und transparent nur das berücksichtigen soll, was wirklich im Haushaltsjahr geleistet wird. In Ihrem Haushaltsentwurf werden zahlreiche Investitionen aufgenommen. So weit so gut. Gleichzeitig wird im Vorbericht durch die Verwaltungsspitze erklärt, dass „Aufgrund der bekannten Schwierigkeiten bei der Personalakquise und der Beauftragung ausführender Baufirmen voraussichtlich nicht alle Instandhaltungsmaßnahmen entsprechend der Planung durchgeführt werden können.“

Mit diesem vorauseilenden Aufbau von Haushaltsresten wird also direkt offenbart, dass die Verwaltungsspitze ein Investitionsprogramm vorsieht, zu dessen Umsetzung sie sich gar nicht vollständig in der Lage sieht. Hier besteht ein Widerspruch zu einer ehrlichen Haushaltsführung. Die Frage ist, wie diese Zahl entstanden ist und welche Projekte hiervon denn konkret betroffen sind. Insgesamt sollen die Haushaltsreste von rund 85 Millionen Euro in 2016 auf annähernd 180 Millionen Euro im Jahr 2025 aufwachsen. Das ist eine Steigerung von mehr als 110% und somit mehr als eine Verdoppelung.

 

 

In Anbetracht der zur Verfügung stehenden Zeit möchte ich darum bitten, Teile meiner Ausführungen auch als Begründung für unseren Grundlagenantrag anzusehen. Für diesen will ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich werben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir halten etliche Eckdaten des Haushaltes für ungesund und sehen darüber hinaus politisch-handwerkliche Schwächen, weswegen dieser Haushalt abzulehnen ist. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.